Islamkonferenz ist gegen radikalen Salafismus

21 April 2012

Die Islamkonferenz beschließt zu Beginn eine Erklärung gegen Zwangsheirat und häusliche Gewalt. Innenminister Friedrich betont, radikale Salafisten seien unter deutschen Muslimen nicht mehrheitsfähig.


 


Die Deutsche Islamkonferenz (DIK) hat sich gegen den radikalen Salafismus ausgesprochen. "Religion darf nicht für ideologische Machtansprüche missbraucht werden", betonte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zu Beginn der jährlichen Plenarsitzung.

"Wir sind uns alle einig, dass salafistischer Extremismus nicht akzeptabel ist und nicht in eine freie Gesellschaft, wie wir sie in Deutschland haben, passt". Radikale Salafisten seien unter Muslimen in Deutschland nicht mehrheitsfähig.

Sie werden ihre Freude gehabt haben, die Salafisten. Schließlich spielte nicht nur das Wetter mit. Nein, dank der Politiker, die rechtzeitig Alarm geschlagen hatten, standen die jungen bärtigen Herren, die auf den Plätzen dieser Republik gleich ganze Lieferwagenladungen Korane gratis unters Volk brachten, dann doch tatsächlich im gleißenden Licht der Kameras und Fotografen. Landauf, landab gab es kaum ein anderes Thema. Was für eine Party!

Und die haben sich die Fundamentalisten einiges kosten lassen. Oder sollte man besser sagen, ihre Finanziers? Jedenfalls gingen noch vor dem Andruck des ersten Exemplars 300.000 Euro vorab auf den Konten der Ulmer Druckerei Ebner & Spiegel ein. Damit seien dann in sechs Tranchen 300.000 Korane gedruckt worden, teilte das Unternehmen mit.

Glaubt man dem Verein "Die wahre Religion", der den Druck in Auftrag gab, stammt das Geld aus dem Verkauf von Koranen an Muslime und aus Spenden.

Der Verfassungsschutz hingegen glaubt etwas anderes. "Ich gehe davon aus, dass es externe Geldgeber gibt", sagte Hans-Werner Wargel, Chef des niedersächsischen Landesamtes, dem "Spiegel". "Wir haben Erkenntnisse, dass in der Vergangenheit Geldströme von der Arabischen Halbinsel an das salafistische Netzwerk in Deutschland geflossen sind."


Dann lüftet er das Geheimnis, wer seiner Ansicht nach auf der Halbinsel der Wohltäter gewesen sein könnte, nämlich Katar und Saudi-Arabien. Vor allem die Saudis stehen schon lange in dem Ruf, die Ausbreitung eines überaus konservativen Islams in Deutschland fördern zu wollen.

Dennoch werden sie von der Bundesrepublik mit modernsten Kampfpanzern beliefert. Nicht einmal der Einsatz saudischer Militärs gegen die Demokratiebewegung in Bahrein änderte daran etwas.

Eine gigantische Marketing-Aktion

Wer auch immer letztlich hinter der Aktion "Lies!" steht, von ihm müsste noch die eine oder andere Überweisung bei den deutschen Salafisten eingehen, denn insgesamt wollen die in den Innenstädten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz sowie im Internet nicht weniger als 25 Millionen Koran-Exemplare kostenlos verteilen.

Sie betreiben eine gigantische Marketing-Aktion, die wohl kalkuliert ist. Denn in einer Konsumgesellschaft, in der Werbeslogans wie "Geiz ist geil" den Ton angeben, findet schließlich auch der Koran, sobald er denn wirklich für "lau" zu haben ist, seine Abnehmer.

In Frankfurt versicherte ein kaum mehr als 20 Jahre alter Mann freudig erregt einem Reporter des Hessischen Rundfunks, er und sein Freund hätten binnen einer Stunde vier Kartons mit Koranen verteilt. Später brach der junge Mann dann eine Lanze für ein islamisches Rechtssystem.

Einschreiten des Verfassungsschutzes vermisst

"Dann gäbe es fürs Klauen Hand ab, und bei Ehebruch würde man diese Person steinigen, mit vier Zeugen und einigen Voraussetzungen", sagte er, was dann doch einige Passanten auf die Palme brachte. Sie sei "fassungslos", dass die Aktion genehmigt worden sei, kritisierte eine Frau. Eine andere vermisste das Einschreiten des Verfassungsschutzes – wohl in Unkenntnis über dessen Zuständigkeiten.

Eine dritte schließlich warnte eindringlich vor dem gefährlichen Einfluss auf junge Menschen und prophezeite dem Land eine düstere Zukunft: "Wir werden in zehn Jahren sehen, wie viel Terrorismus es hier in Deutschland geben wird."

So fühlt sich laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag von RTL auch knapp jeder dritte Deutsche vom Islam bedroht – dies sagten 31 Prozent der Befragten. Eine Mehrheit von 63 Prozent gab hingegen an, sie fühle sich vom Islam nicht bedroht.

"Wir wollen den Koran in unserem Jugendkreis lesen"

Die Hannoveraner blieben da gelassener. Ein älterer Herr beobachtete interessiert den "Umsonst-und-draußen-Event". Er selbst wolle keinen Koran mitnehmen, sagte er bestimmt und schaute zu, wie immer mehr heilige Bücher des Islams über den Tresen gingen.

Gleich 20 Exemplare trug Friedrich Neupert davon. Der 22-Jährige ist in der pietistisch-geprägten Landeskirchlichen Gemeinschaft aktiv. "Wir wollen den Koran in unserem Jugendkreis lesen", sagte er. Insbesondere Stellen, in denen es um den Heiligen Krieg geht, wolle die Gruppe "intensiv studieren".

Einer der Verteiler in Hannover war Dennis Radkamp, Konvertit und seit zwei Jahren praktizierender Muslim. Unablässig stapelte er die Bücher auf dem Tisch, gab sie Interessierten in die Hand. Groß ins Gespräch kam er allerdings mit ihnen nicht. "Das will ich auch gar nicht", sagte er: "Ich schwatze hier niemanden etwas auf."

Die großen Weltreligionen kommen ins Gespräch

Musste er auch gar nicht: Erstens lief die Aktion auch so wie geschmiert, zweitens nötigte er den Umstehenden auch noch Respekt ab. Einer von ihnen war der 70 Jahre alte Werner Meyer, ein Mann jüdischen Glaubens. Er freue sich, sagte er, wenn die großen Weltreligionen miteinander ins Gespräch kämen.

Nur durch Dialog könne man einander respektieren. Warum er nichts gegen die Koranverteilung habe? Er akzeptiere doch auch, dass die Zeugen Jehovas oder Scientology offensiv in der Öffentlichkeit für ihren Glauben werben.

Vielleicht hätte er anders reagiert, wenn er jenes von Salafisten produzierte Internet-Video kennen würde, das Journalisten der "Frankfurter Rundschau" und des "Tagesspiegel" praktisch zu Freiwild erklärt.

In der Vergangenheit wurden mehrfach Journalisten, die über die Salafisten berichtet hatten, mit Namen und Bild ins Netz gestellt. Nach Recherchen der "Welt am Sonntag" soll es zwischen dem aktuellen Video und der Koran-Verteilaktion eine enge Verbindung geben.

Angeblich arbeitet der Produzent des Videos mit dem Vorsitzenden des Vereins Die wahre Religion, Ibrahim Abou-Nagie, zusammen. Er soll dessen Kameramann sein.

Kritiker der Salafisten – "Allah verspricht denen die Hölle"

Es ist müßig, über Abou-Nagie viele Worte zu verlieren. Was er sagt, spricht gemeinhin für sich: Die Verbreitung des Korans sei "die Pflicht von jedem Muslim", teilte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" mit. Er werde dieser Pflicht nachkommen, obwohl Polizei und Verfassungsschutz ihn "jeden Tag terrorisieren" und er unter der "Medienhetze" leide.

Muslimische Kritiker der Salafisten seien allesamt "Heuchler". "Allah verspricht denen die Hölle", so Abou-Nagie. Das gelte im Übrigen auch für Christen und andere, die den muslimischen Glauben nicht annähmen.

Beim Bundeskriminalamt (BKA) wird Abou-Nagie mit solchen Aussagen sehr ernst genommen. BKA-Präsident Jörg Ziercke zieht daraus den Schluss, dass die Beobachtung der salafistischen Szene in Deutschland durch den Verfassungsschutz unverzichtbar sei, um Straftaten frühzeitig zu erkennen. "Dass der Salafismus mit seiner Ideologie zum Radikalisierungsprozess von Menschen beitragen kann, hat beispielsweise der Anschlag auf US-Soldaten am Frankfurter Flughafen im letzten Jahr gezeigt."

Besorgt äußert sich auch Niedersachsens Integrationsministerin Aygül Özkan (CDU). "Es muss klar sein, dass sich jeder Mensch in Deutschland unabhängig von seiner Herkunft oder seines Glaubens an die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu halten hat", sagte sie.

Und der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland stellte die Frage: "In so einer Situation ist es sicher berechtigt zu fragen, was bei aller Legitimität mit der großflächigen Verteilung des Korans durch die Aktion ,Lies‘ bezweckt werden soll." Die Antwort darauf erübrigt sich.

Friedrich nannte die Erklärung ein "wichtiges Signal". "Erstmalig haben sich Muslime unterschiedlicher Herkunft und Religiosität in Deutschland gemeinsam mit staatlichen Vertretern auf einen Text verständigt, der in der Ächtung dieser Praktiken unmissverständlich ist". Das Dokument sei somit "eine wichtige Grundlage für die künftige praktische Arbeit zur Eindämmung von häuslicher Gewalt und Zwangsverheiratung."

Die Deutsche Islam Konferenz dient als Dialogforum, um die Integration der Muslime in Deutschland voranzubringen. Zu den Teilnehmern gehören muslimische Einzelpersönlichkeiten, die Vertreter islamischer Verbände und Repräsentanten des deutschen Staates.

KNA/smb
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