Europa und die muslimische Welt: Anleitungen und Thesen gegen den Hass und Irrtümer – Zwei Leseempfehlungen der Werke von Michael Thumann und Jürgen Todenhöfer.

27 October 2011


(Erstveröffentlichung in: MiGazin vom 07.10.2011) Zumindest nicht unmittelbar. Vielmehr ist „Der Islam Irrtum“ eine aktuelle Momentaufnahme anlässlich des sogenannten arabischen Frühlings. Hierbei wird neben den Revolutionsstaaten wie z.B. Ägypten der gesamte Mittlere Osten unter die Lupe genommen. Eine soziologisch, ökonomisch und politische Betrachtungsweise dürfte die Absicht des Zeit-Redakteurs für den Mittleren Osten auf den Punkt bringen.


Anstatt die Vorurteile gegenüber Muslimen im innerstaatlichen Raum aus dem Weg zu räumen, konzentriert sich der „Islam-Irrtum“ auf wesentliche drei Punkte bzw. Fehlvorstellungen, die der Westen in seiner Nahost-Wahrnehmung seit anno 2001 betreibt: 1) dem Missverständnis von der all überragenden Bedeutung des Islam im Nahen Osten; 2) der falschen Annahme, der Islam sei prinzipiell gegen den Westen gerichtet und der Abschottung gegen alles Islamische, sowie 3) dem Vorbeisehen an den Stärken und Schwächen der Länder im Nahen Osten ganz unabhängig von der Religion.

Klarstellung

So beginnt das Werk mit einer Klarstellung, wie die muslimische Welt aus Perspektive des Autors wahrgenommen werden sollte. Von Islamisten, die in Wirklichkeit die Gesellschaft spalten, statt vereinen, bis hin zu Nationalisten die gemäß ihrer Konfession die Religion in einer gewissen Weise für Ihre politischen Ziele instrumentalisieren. Die Rolle der Hisbollah, und der Hamas sowie dem Israel – Palästina Konflikt werden hierbei thematisiert. Ein Schwerpunkt wird dabei auf die Revolution in den arabischen Staaten, insbesondere aber wie bereits angesprochen Ägypten, gesetzt. Revolutionen galten lange Zeit als utopische und illusionäre Romantik, die höchstens in Musikstücken oder Jugendslogans alternativer Gesinnung zu finden waren. Das technologische Zeitalter und seine Medien wurden unter anderem als Grund für eine politisch desinteressierte Gesellschaft dargestellt. Michael Thumann macht mit seinem Werk, solchen Thesen das Leben schwer. Eindrucksvoll berichtet er die Situationen in den arabischen Ländern und wie die „Facebook/Twitter“ Revolution aus der Perspektive einiger Befragter subjektiv wahrgenommen wurde. Im Vergleich zu manch anderen Autoren (so etwa: „Der arabische Frühling – Als die islamische Jugend begann, die Welt zu verändern“ von Jörg Ambruster) ist der Autor der Auffassung, dass die Revolution nicht aufgrund einer religiösen Überzeugung entstand, sondern das Verlangen nach Freiheit und Mitspracherecht der Mehrheitsgesellschaft in jenen Staaten, völlig unabhängig ihrer religiösen Überzeugung.

Eine gewisse Revolution findet zudem in der Türkei statt. Diese hat sich seit dem politischen Wandel im Jahre 2003 zu einer Wirtschafts- und Kulturrevolution entwickelt. Eine von einer westlich beeinflussten, auf freier Marktwirtschaft basierenden Wirtschaftspolitik, mit zunehmendem ökonomischem Wachstum und das Erfolgsmodell von Islam und Demokratie werden anhand der Beispiele von Recep Tayyip Erdoğan‘s AKP und den aufstrebenden Geschäftsmännern Anatoliens dargestellt. Die Türkei hat bei Thumann hierbei einen besonderen Stellenwert. Zwei Kapitel wurden der Türkei zugewiesen, wobei das Zweite eine stärkere Darstellung der politischen Entwicklung des ehemaligen „kranken Mannes vom Bosporus“ beinhaltet.

Die Frau in der muslimischen Welt

Neben dem positiven Aufbruch des Nahen Ostens werden zudem kontroverse Themen angesprochen und näher erläutert. Zu dem zählen nach Auffassung des Autors eben auch die im Westen höchst umstrittene Frage nach Stellung der Frau sowie die Homosexualität und deren Akzeptanz in den islamisch geprägten Regionen im Nahen Osten. Ein Irrtum des Westens, die Frau der islamischen Welt habe wenig Rechte, werden durch Beispiele selbstbewusster und wegweisender Frauen dargestellt. Richtigerweise werden hierbei auf die geografischen Unterschiede hingewiesen, in denen verschiedene religiös geprägte Bräuche streng (Saudi Arabien) oder moderner (Marokko) praktiziert werden. Dabei werden im selben Atemzug die Schwierigkeiten, die ambitionierten Geschäftsfrauen oder dem Heiratswunsch nachkommenden Singles entgegenstehen ebenfalls erläutert.


Eine enorm wichtige, doch zu kurz kommende Sektion ist dabei, die Erwähnung was für Probleme die bezüglich des Westens auf europäische Muslime und der islamischen Geografie entstanden ist. Auf knapp 24 Seiten werden von den Karikaturen über den Propheten Mohammad, die Kopftuchdebatte aber auch den Beitrittsverhandlungen der Türkei in die EU vielerlei abgedeckt. Als problematisch könnte man die Betitelung „Kulturkampf“ in diesem Kapitel empfinden, welches darauf deuten lässt bzw. könnte, dass es sich um eine Huntington‘sche Wahrnehmung des Problems handelt. Dieser Terminus wird jedoch geschickt als Spiegel für jene „Kritiker“ verwendet, welche mit der Bedrohung des Westens durch den Islam, Politik, Wirtschaft und Manipulation vorantreiben. Obwohl zu kurz gekommen ist dabei lobenswert, dass die wesentlichen Stereotypen und Missverständnisse die sich seit Jahren angehäuft haben, mit diversen Analysen und Schlussfolgerungen dargestellt und zugleich widerlegt werden.

Fazit
Als Fazit lässt sich sagen, dass Michael Thumann mit dem „Islam-Irrtum“ ein kompakt gutes Werk gelungen ist. Kompakt deshalb, weil die Problematik innerhalb der Beziehung zwischen (Naher) Ost(en) und West nicht oberflächlich betrachtet wird. Vielmehr versucht das Werk die tiefgründige Wahrnehmungsstörung aufzuzeigen, welches im Gegenzug das fehlerhafte Verhalten des Westens gegenüber der muslimischen Welt zur Folge hat. Die Interpretation der Muslime und der islamischen Staaten durch den Westen könnte mit diesem Werk einer Korrektur unterzogen werden und wird sicherlich für aufrichtig nach den objektiven Gegebenheiten eine nützliche Quelle sein.

Zum Autor:
Michael Thumann, geboren 1962, studierte Geschichte, Politik und Slawistik in Berlin, New York und Moskau. Seit 1992 berichtete er als Korrespondent der Zeit über Südosteuropa, von 1997 bis 2001 als deren Moskauer Korrespondent über Rußland und Zentralasien. Heute koordiniert Michael Thumann in Hamburg die außenpolitische Berichterstattung der Zeit.


Selten hat jemand das schwierige Verhältnis zwischen dem "Westen" und der muslimischen Welt besser beschrieben und brillanter die geschichtlichen Parallelen zu der verhängnisvollen Dämonisierung anderer Religionsgemeinschaften und Volksgruppen aufgezeigt wie Jürgen Todenhöfer mit diesem Buch. Der Autor hat in überzeugender Weise dargestellt, wie wichtig das 'Feindbild Islam' für die westlichen Militärstrategen ist und wie intensiv dieses Feindbild auf verschiedensten gesellschaftlichen Ebenen gepflegt wird.

Dr. Todenhöfer beschreibt schonungslos die schlimme Rolle, die Sarrazin und seine geistigen Freunde in Deutschland und Europa in dieser Tragödie übernommen haben.
Der Autor bleibt dem Leser nicht - wie sonst üblich - Antworten schuldig, denn er zeigt überzeugende Lösungsansätze auf, wie der bedrohliche Konflikt zwischen Juden, Christen und Muslimen abgewendet werden kann.

In diesem wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion über den Umgang mit Muslimen und Islam gelingt es dem Autor auf ca. 50 Seiten die Gesamtproblematik "Okzident-Orient" verständlich darzustellen. Dieses Buch ist ein "must-read" für jeden, der den Terrorismus und die Kriege der letzten 10 Jahre, wie auch die unselige Sarrazin - Debatte verstehen will (interessant, dass der Verlag von Jürgen Todenhöfer und Thilo Sarrazin ein und derselbe ist, Anm. Redaktion).

Von M.Al-Faruqi

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