Eigentliches Thema der Islamkonferenz ist die Geschlechtergerechtigkeit, zu der eine Erklärung gegen Gewalt erscheint. Im Hintergrund wabert das Thema Salafismus, den die Konferenzteilnehmer ablehnen. Von Freia Peters
Das Thema stand gar nicht auf der Tagesordnung, aber die Deutsche Islamkonferenz (DIK) kam an den Aktivitäten radikaler Salafisten nicht vorbei. "Wir sind uns alle einig, dass salafistischer Extremismus nicht in unsere freie deutsche Gesellschaft passt", sagte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), Gastgeber der sechsten Islam-Konferenz.
"Radikale Salafisten sind unter Muslimen nicht mehrheitsfähig. Der Absolutheitsanspruch der Salafisten ist nicht vereinbar mit unserem Grundgesetz", sagte Friedrich. Diese Position sei von der Konferenz bekräftigt worden. Auch die muslimischen Verbände hätten sich überwiegend "sehr eindeutig" gegen den Salafismus positioniert. Das Thema bereite aber weiterhin "große Sorgen."
Friedrich erwähnt Thema Salafismus nur am Rande
Vor Beginn der Islamkonferenz, in der eigentlich Geschlechtergerechtigkeit das Thema war, hatten Unions- und FDP-Politiker Druck auf Innenminister Friedrich ausgeübt, Salafismus kurzfristig auf die Tagesordnung zu setzen.
Muslime in Deutschland
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In Deutschland leben 3,8 bis 4,3 Millionen Muslime. Nur ein kleiner Teil davon gilt als Anhänger radikaler Strömungen.
Knapp zwei Drittel der muslimischen Migranten haben türkische Wurzeln. Mehr als 13 Prozent stammen aus Südosteuropa, etwa 8 Prozent sind Migranten aus dem Nahen Osten und 7 Prozent aus Nordafrika.
20 Prozent der Muslime in der Bundesrepublik sind in religiösen Vereinen oder Gemeinden organisiert. Mit fast drei Vierteln bilden die Sunniten die bedeutendste Glaubensrichtung. Es folgen die Aleviten mit 13 und die Schiiten mit 7 Prozent.
In Deutschland gibt es rund 2350 Moscheen.
Salafisten hatten am vorigen Wochenende in deutschen Städten kostenlos 300.000 Koran-Exemplare in Fußgängerzonen verteilt und mit ihrer Missionierungs-Aktion "Lies!" eine heftige Debatte ausgelöst. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) hatte einen "Pakt gegen Salafismus" verlangt. Die auf der Islamkonferenz vertretenen Muslim-Verbände sollten sich an die Spitze einer bundesweiten Aufklärungskampagne über die Gefahren der Salafisten stellen. Dies sei die "Nagelprobe" in der Kooperation zwischen Staat und muslimischen Verbänden.
Auch der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach hatte verlangt, dem Thema Priorität einzuräumen. "Ich wünsche mir einen Zusammenschluss aller demokratischen Kräfte gegen Radikale." Das Signal des Islamgipfels müsse lauten: "Ihr habt in unserem Land keine Chance!"
Friedrich jedoch lehnte eine Änderung der Tagesordnung ab. Und erwähnte das Thema Salafismus nur am Rande. Vergangenes Jahr hatte der damals frisch berufene Innenminister Empörung bei den Muslimvertretern verursacht mit seinen Plänen, die Konferenz vor allem dazu zu nutzen zwischen Staat und Muslimen eine Sicherheitspartnerschaft zu etablieren. Sie fühlten den Islam als Sicherheitsproblem reduziert. Diesmal bremste Friedrich den Eifer seiner Parteikollegen.
Aufruf zur Ächtung von Gewalt
Lob erhielt er dafür von den Grünen. Die radikalislamischen Salafisten seien eher Thema für eine Sicherheitsrunde, sagte der integrationspolitische Sprecher der Grünen Memet Kilic. "Diese extremistische Randgruppe gehört nicht in den Vordergrund des Islams in Deutschland. Sie müssen als Sicherheitsproblem behandelt werden und nicht als Problem des Islams in unserem Land."
Der Salafismus bringe Muslime in Deutschland in Misskredit, sagte der Grünen-Politiker Omid Nouripour. "Gleichberechtigung ist ein viel wichtigeres Thema und geht viel mehr Leute in Deutschland an."
Die Mitglieder der Islamkonferenz gaben eine Erklärung ab, dass Gewalt und Nötigung zu einer Eheschließung schwere Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht darstellt und daher nicht toleriert werden kann.
Jeder habe ein Recht auf "körperliche und seelische Unversehrtheit sowie das Recht, aus eigenem Entschluss und im Rahmen der geltenden Gesetze eine Ehe einzugehen oder dies zu unterlassen". Leider würden "diese universellen Menschenrechte auch heute noch häufig missachtet".
Auch hier bemühte sich Friedrich um eine sanfte Ausdrucksweise. Zwangsverheiratung und häusliche Gewalt beruhten auf traditionalistischen patriarchalischen Strukturen in den Herkunftsländern und habe nichts mit der Religion zu tun, sagte Friedrich.
In der Erklärung der Konferenz heißt es, der Islam sei eine offene und tolerante Religion, die sich gegen physische und psychische Gewalt und Zwangsverheiratung wende und zur individuellen Selbstbestimmung ermutige. Die Mitglieder der Konferenz rufen daher dazu auf, Gewalt zu ächten.
Diskussion nicht auf Zwangsheirat reduzieren
"Erstmalig haben sich Muslime unterschiedlicher Herkunft und Religiösität in Deutschland gemeinsam mit staatlichen Vertretern auf einen Text verständigt, der in der Ächtung dieser Praktiken unmissverständlich ist. Die Erklärung ist somit eine wichtige Grundlage für die Eindämmung von häuslicher Gewalt und Zwangsverheiratung", sagte Friedrich.
Doch auch dieser kleinste gemeinsame Nenner rief Kritiker hervor. Die Diskussion um muslimische Frauen dürfe nicht auf die Themen Zwangsheirat, Ehrenmord und Unterdrückung reduziert werden, sagte Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU).
Vielfach seien muslimische Frauen in Deutschland bereits weitaus emanzipierter als gedacht, sagte sie auf der Islamkonferenz. "Faktum ist, dass muslimische Mädchen und Frauen mittlerweile höhere Schulabschlüsse als muslimische Jungen und Männer aufweisen und erfolgreicher in der Ausbildung sind."
Auch zeigten Studien, dass die reale Rollenverteilung in den Familien ganz anders sei als gemeinhin angenommen. Es dominiere in den muslimischen Familien vielfach eine partnerschaftliche Arbeitsteilung, Mädchen würden genauso gefördert wie Jungen. "Meist sind es die Frauen, die das letzte Wort bei grundlegenden familiären Entscheidungen haben." Dennoch dürften Themen wie häusliche Gewalt und Unterdrückung nicht ausgeblendet werden, sagte Özkan.
Traditionelle Rollen hinterfragen
Eine Projektgruppe von Muslimen, Mitarbeiter aus Ministerien und Nicht-Regierungs-Organisationen hatte im vergangenen Jahr über das Thema "Rollenbilder in muslimischen Milieus" diskutiert. Auf der Islam Konferenz wurde nun der erste Teil einer Handreichung zu rollenbezogenen Fragestellungen verteilt.
Starre Rollenbilder können die Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe von Frauen und Mädchen beeinträchtigen, heißt es darin. Im Text werden die verschiedenen von Muslimen gelebten Rollenmodelle vorgestellt, sowohl die berufstätige Mutter, als auch die Hausfrau mit kleinem Nebenverdienst. Es werden konkrete Konfliktsituationen etwa mit der heranwachsenden Tochter durchgespielt und Lösungsvorschläge gemacht.
Die Hoffnung ist, dass die Konferenzmitglieder das Ringbuch in ihren Gemeinden verteilen und somit dazu beitragen, traditionelle Rollen kritisch zu hinterfragen.
Empfehlungen der Jungen Islamkonferenz
Trotz der Bemühungen Friedrichs hält die Enttäuschung einiger muslimischer Teilnehmer der Islamkonferenz offenbar an. Kenan Kolat, Chef der Türkischen Gemeinde in Deutschland, kritisierte, dass Friedrich die Ergebnisse der Konferenz alleine auf einer Pressekonferenz vorstellte und nicht – wie bisher üblich – mit den muslimischen Verbänden zusammen. "Wir erleben eine Verstaatlichung der Islamkonferenz, so wird das wahrgenommen", sagte er.
Das Thema "Präventionsarbeit mit Jugendlichen" soll nun auf der Islam Konferenz im kommenden Jahr Schwerpunkt werden. Eine Arbeitsgruppe stellte gestern bereits einen Zwischenbericht vor. Sie beschäftigt sich vor allem mit den Themen Extremismus, Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit.
Mit dem Argument, das drängende Thema Islamfeindlichkeit werde nicht angemessen behandelt, war der konservative Zentralrat der Muslime vor zwei Jahren aus der Islamkonferenz ausgestiegen. Nun soll die Arbeitsgruppe bis nächstes Jahr ein Bündel von praktischen Maßnahmen erarbeiten, was man gegen extremistische Phänomene tun kann.
Die Teilnehmer der Jungen Islamkonferenz, die ab sofort jährlich stattfinden soll, überreichten Friedrich derweil einen Empfehlungskatalog. Knapp 30 junge Migranten aus Jugendgruppen empfahlen eine stärkere Kooperation mit Schulen, eine bessere Darstellung muslimischen Lebens in den Medien, den Ausbau von Teilhabemöglichkeiten sowie die stärkere Kooperation zwischen der DIK und der Jungen Islam Konferenz.
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